Eine Hülle seiner Zeit.
Einst als führendes Luxushotel Europas weithin bekannt, thront das Südbahnhotel am Semmering heute im Schatten seiner Nostalgie am Rande der auslaufenden Berghänge in den Wiener Alpen. Fast so, als würde es sich selbst jeden Tag aufs Neue die Frage am drohenden Abgrund stellen: Wie weit darf ich mich noch hinauslehnen? Wohin soll meine Seele entweichen, wenn meine Geschichte endgültig von des Windes Kraft hinfort getragen wird? Oder sollte man den Gedanken in seiner Düsterheit umkehren. Geht es vielleicht vielmehr um diejenigen, welche den Weg heute hierher finden? Wie Künstlerin und Fotografin Yvonne Oswald. Gebürtig aus dem oberösterreichischen Salzkammergut führte ihr Weg von der Hochschule für angewandte Kunst in Wien zur Parsons School in New York und über Paris wieder zurück zu Friedl Kubelkas Schule für künstlerische Fotografie in Wien. Nicht das Land, das Stadtleben reizte sie. Und doch schritt sie vor Jahren im Zuge eines Spazierganges um diese eine letzte, markante Straßenkurve am Semmering, welche das Hotel verdeckt und war vom Anblick dessen schlicht und einfach überwältigt. Auf Zehenspitzen erhaschte sie durch die alten Fenster einen ersten Einblick in die einstige Seele des Wiener Fin de Siècle. Und war fasziniert. „Ich konnte nicht mehr aufhören nach der Geschichte des Hauses zu fragen und wusste, hier muss ich mehr machen.“
„Ich konnte nicht mehr aufhören nach der Geschichte des Hauses zu fragen und wusste, hier muss ich mehr machen“
„Ich habe versucht zu erfühlen, wer hier war, was hier war und warum es war. Dazu muss man sehr still sein. Diese Arbeit war für mich wie eine Reise in eine andere Welt, als wähnte ich mich auf einem Schiff, das über dem Land schwebt. In diesen Räumen haben Affären stattgefunden, Leute sind gestorben, Kultur ist entstanden“
Treffpunkt der Wiener Gesellschaft
Verhandlungen mit dem Besitzer folgten und eine fünfjährige Arbeit entstand. „Die Geschichten, die Menschen, alles in diesem Haus war noch so spürbar. Wie eine alte Dame, der man ihr Alter nicht vorwerfen kann.“ Eine Granddame sozusagen. Denn als einstiges Grand Hotel hat dieses Haus wesentlich mehr zu erzählen, als diesem Text Raum gegeben werden kann. Auf exakt 1000 Meter Seehöhe wurde das Südbahnhotel 1882 als erstes von mehreren großen Hotelprojekten der Südbahngesellschaft eröffnet. Es war der Treffpunkt der Wiener Gesellschaft, ein Juwel der österreichischen Architektur-, Gesellschafts- und Tourismusgeschichte. Peter Altenberg, Gustav Mahler, Siegmund Freud, Gerhard Hauptmann, Karl Kraus, alle waren sie da. Bis der drohende zweite Weltkrieg seine düsteren Vorboten schickte. „Mit dem Gesetz der Nationalsozialisten, das vorgab, dass die jüdische Gesellschaft keine Hotels mehr betreten darf, besiegelte man auch den Untergang des Südbahnhotels.“
Heute steht es das Gebäude leer. Doch die alten Mauern, der verblasste Diwan, der gewaltige Waldhofsaal, die Luster, Stoffe und Tapeten – sie alle erzählen von der damaligen Zeit. Wenn man wie Yvonne Oswald genau hinhört. „Ich habe versucht zu erfühlen, wer hier war, was hier war und warum es war. Dazu muss man sehr still sein. Diese Arbeit war für mich wie eine Reise in eine andere Welt, als wähnte ich mich auf einem Schiff, das über dem Land schwebt. In diesen Räumen haben Affären stattgefunden, Leute sind gestorben, Kultur ist entstanden.“ All das hat sie versucht, in ihrem Buch über das Südbahnhotel einzufangen, abzubilden, zu erzählen. Ein Werk, das berührt. Und Erfolge verbuchen kann, wie es einem Grand Hotel gerecht wird. Eine Einzelausstellung im Jüdischen Museum Wien 2015 untermauerte den Anfang, dieses Jahr wurde die Werkserie in New York gezeigt.
Eine Kulisse der Nostalgie
Was die Zukunft für das Südbahnhotel bereit hält, ist ungewiss: „Ich hoffe, dass es einem guten Schicksal zugeführt wird. Touristisch wird es schwer nutzbar sein. Ich sehe eher eine Entwicklung im kulturellen Bereich.“ Ein Wunsch, der sich zusehends zu erfüllen scheint. Denn nach dem zehnjährigen Gastspiel der Festspiele Rax zieht mit dem Kultur.Sommer.Semmering wieder Literatur und Musik in die alten Gemäuer ein. Vorübergehend zwar. Aber trotzdem nachhaltig. Denn wie schon Gustav Mahler einst wusste: „Man ist sozusagen selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt.“ Und das Spiel im Südbahnhotel ist längst noch nicht Geschichte.
Yvonne Oswald, geboren in Salzburg, besuchte die Hochschule für angewandte Kunst in Wien mit Diplom zur Mag. Art., die Parsons School in New York und die Schule für künstlerische Fotografie Wien - Friedl Kubelka. Neben zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen ihrer Werkserien hat Frau Oswald bisher vierzehn Bücher publiziert und arbeitete unter anderem für Magazine wie The World of Interiors, AD Germany, AD Russia, Elle Decor Italia, Coté Est, Christies Magazine, National Geographic Traveller China, Falstaff und The Modern Times.
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© Historische Fotos (s/w): Südbahnhotel Semmering mit freundlicher Unterstützung von "EB Hotel Tourismus Consulting & Management"