Waldviertel | Kunst & Kultur | 9. April 2025 | Lesezeit: 11 Minuten

Wienerlied goes Waldviertel

Die Musikerin Marie-Theres Stickler hat das Wiener Lied im Blut.

Sanft tanzen die Wellen in der Sonne und hie und da lässt sich ein Karpfen kurz an der Wasseroberfläche blicken. Am Ufer des Herrensees holt sich die Akkordeonistin Marie-Theres Stickler Inspiration für ihre Auftritte am späten Nachmittag. In der warmen Sommerluft liegt hier jedes Jahr um diese Zeit nämlich eine besondere Musik in der Luft: Denn aus Litschau im nördlichen Waldviertel stammt die in Österreich so beliebte Schrammelmusik. Die Wiener Musikgattung des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde nach den Musikern und Brüdern Johann und Josef Schrammel benannt, deren Familie väterlicherseits in Litschau ihre – auch musikalischen – Wurzeln hatte. Und so versammelt sich alljährlich das Who is Who der Szene in Litschau und die „Schrammelstadt“ wird zum Austragungsort des schon legendären Schrammel.Klang.Festivals, das der Wiener Zeno Stanek 2007 ins Leben gerufen hat. Marie Theres Stickler zählt dabei quasi zur Stammbesetzung und tritt an den beiden Festivalwochenenden jedes Jahr mindestens in einer Formation auf.

Ich brauch die Freiheit, verschiedene Genres spielen zu können

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Die Musik als Heimat

Für Marie-Theres Stickler sind Litschau und der Herrensee ein klein wenig zur musikalischen Heimat geworden. In Puchberg am Schneeberg, an der Grenze zur Steiermark aufgewachsen, begann sie mit fünf Jahren das Spiel auf der Steirischen Harmonika. Eine frühe Liebe, die bis heute gereift ist und nie an Leidenschaft verloren hat. „Wenn ich mich zurückerinnere, war das eine wunderbare und zwanglose Zeit. In den ersten Jahren habe ich nach Lust und Laune gespielt, konnte frei experimentieren und lernte autodidaktisch.“ Zur Harmonika gesellten sich alsbald klassisch die Blockflöte, mit acht Jahren erlernte sie zudem das Geigenspiel an der örtlichen Musikschule. „Mit der Geige musste ich von Woche zu Woche abliefern, folgte einem strikten Lehrplan, das war eine ganze andere Erfahrung.“ Musik wurde ihr immer vermittelt, aus einer klassischen Musikerfamilie entstammt sie nämlich nicht. „Ich durfte mich immer frei für meinem Weg entscheiden.“ Auf viel Inspiration, Lehrmeister und Vorbilder folgte in der Pubertät die erste Krise: „Mit zwölf, dreizehn Jahren war Volksmusik leider peinlich statt cool. Das hat sich zum Glück gewandelt, aber in der Pubertät hab ich schon sehr mit der Musikrichtung gehadert. Die Harmonika landete über Monate, wenn nicht Jahre in der Ecke.“ Erst eine schicksalshafte Begegnung in der Südsteiermark beendete das verstaubte Dasein des Instruments.

„Diese musikalische Begegnung hat in meinem Leben alles über den Haufen geworfen."

Von da an gab es kein zurück mehr

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Ray Charles auf der Harmonika

„Ein lieber Kollege vermittelte mir damals eine Unterrichtsstunde mit dem mittlerweile verstorbenen, blinden Harmonikaspieler Andreas Salchegger. Mit seinem Stil hat er sich unsterblich gemacht. Für mich ist er der Ray Charles auf der Diatonischen Harmonika. Diese Begegnung hat für mich damals alles über den Haufen geworfen. Ich war so fasziniert und gefesselt, dass man so musizieren kann. Das hat für mich ein ganzes Universum aufgemacht.“

Du musst zuerst für die Leut´ spielen, dann erst für dich

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Puchberg-Wien-Salzburg-Wien-Listschau

Nach dieser Erfahrung gab es für sie nicht mehr den leisesten Zweifel, wohin es sie im Leben zog. Das Studium am Mozarteum Salzburg folgte, anschließend zog es die Absolventin in die Musikstadt Wien, einem, wie sie überzeugt ist, unglaublich inspirierenden Ort für Musiker aus aller Welt. Mittlerweile ist sie der Liebe wegen im Waldviertel sesshaft geworden und wirkt bei zahlreichen Ensembles mit: Seit dem Studium als Ensemblemitglied bei den Tanzgeigern, der Volksmusik treu bleibt sie mit der WüdaraMusi. Mit ihrer Band ALMA verwirklicht sie zeitgenössische Projekte und das Duo Stickler & Koschelu hat sich ganz und gar dem Wiener Lied verschrieben.

„Das Wiener Lied ist wie ein schwerer Rotwein an, der immer besser wird, je länger man ihn atmen lässt.“

Das Frauenbild im Wiener Lied – oft ein Balanceakt

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„Das Wiener Lied ist jetzt sicher nicht unbedingt die Musik für die Kindheit oder die Jugend. Sie ist wie ein schwerer Rotwein, der etwas später ins Leben passt und der immer besser wird, je länger man ihn atmen lässt." Ihre Begeisterung für diese Musikgattung führte sie unweigerlich zu Rudi Koschelu, einer Ikone des Wienerliedes und seines Zeichens Kontragitarrist, Sänger und Dudler. Mit ihm spielt sie Wienerlied-Klassiker, die teilweise 200 Jahre als sind ebenso, wie neue Kompositionen. „Neben einer großen Unbekümmertheit gibt es natürlich auch vor allem in den älteren Liedern welche, mit denen ich schon etwas hadere. Wo das vermittelte Frauenbild nicht im Geringsten mit meiner Denkweise übereinstimmt. Dann versuche ich, mich als Dienerin des Liedes zu sehen. Ein Kompromiss, der sich aber nicht immer ausgeht" so Marie Theres kritisch. „Die Radio-Redakteurin Nadja Kayali meinte einmal, dass man viele Wienerlieder aus der Frauenperspektive umschreiben müsste. Da gäbe es aber noch ganz schön viel zu tun."

Liebeserklärung zum Schluss: Mein „Schrammel.Klang“

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Marie Theres Stickler

Die Musikerin und Musikpädagogin spielt in so unterschiedlichen Ensembles wie den Tanzgeigern, Alma, der Wüdaramusi oder den Divinerinnen, dem Duo Stickler-Koschelu.

kontakt@marie-theres-stickler.at Marie Theres Stickler auf facebook Marie Theres Stickler auf instagram

Das Schrammel.Klang.Festival in Litschau

Auf mehreren Naturbühnen spielen jedes Jahr im Juli während des Festivals rund um den Herrensee die berühmtesten Interpreten des Genres auf.

Schrammel.Klang.Festival Schrammel.Klang.Festival auf facebook Schrammel.Klang.Festival auf instagram

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