Altes wahren und Neues wagen.
Teig hat ein wechselhaftes Gemüt. Wenn Barbara Schmidl um zwei Uhr morgens aufsteht und in ihre Backstube in Dürnstein tritt, schlagen ihre Sinne auf kleinste Veränderungen an. Wie hoch ist die Luftfeuchtigkeit? Wie kalt ist es draußen? Wie hoch ist die Backstubentemperatur? Jeden Tag passen sie und ihr Team aus 65 Mitarbeitern die Mischzeiten des Teiges neu an. Nur so entsteht aus unbehandeltem Mehl feinste Backware. Und nur so gelingt die krachende Kruste und die weiche Krume des Original Wachauer Laberls.
Das Bäckerhandwerk hat Barbara Schmidl als Kind mit mehliger Luft eingeatmet und über das Teig-Naschen eingesogen. „Ich habe immer heimlich bei jedem Laberl abgebissen und in der Konditorei aus jedem Topf geschleckt. Meine Schwester hingegen hat immer bei jedem Wein heruntergetrunken. Damit war klar, dass ich die Bäckerei übernehme und meine Schwester den Weinbau.“ Und so führt sie heute in elfter Generation den 237 Jahre alten Bäckerei- und Konfiserie-Betrieb Schmidl im historischen Zentrum Dürnsteins.
„Ich war schon als Kind bei jedem Faschingsumzug als Bäckerin verkleidet.“
„Das Wachauer Laberl ist ein regionales Produkt. Trotzdem kommen zu uns Deutsche, Italiener und Südtiroler, die wissen, wo man das Original bekommt. Das macht mich stolz“
Weggehen oder Dableiben?
Dabei standen Barbara Schmidl noch ganz andere Türen offen. Nicht nur ihr Handwerk, auch ihre Kopfarbeit war geschätzt. Sie studierte Volkswirtschaft in Wien, an der London School of Economics und an der San Diego State University. Sie fasste mit eigenen Publikationen Fuß in der akademischen Welt. Bis der Ruf der Heimat laut wurde.Der Blick über den Tellerrand Dürnsteins hat sich im Hause Schmidl schon einmal bezahlt gemacht. Mit dem Wachauer Laberl wehte 1905 erstmals der Duft der großen weiten Welt in die niederösterreichische Gemeinde an der Donau. Der Bruder von Barbara Schmids Urgroßvater entdeckte als Reisebegleiter der Wiener Sängerknaben in Paris das Baguette – eine luftige Offenbarung für den Schwarzbrot-gewöhnten Gaumen. Nach den Schwärmereien seines Bruders konzipierte Rudolf Schmidl das beliebte Laberl.
Das resche Gebäck fügte sich perfekt in die kulinarischen Bedürfnisse der Umgebung. Es eroberte den Frühstückstisch mit Marillenmarmelade, den Mittagstisch als Begleiter zum Gulasch und die Heurigen als neutrale Unterlage zwischen zwei Gläsern Wein.
Außen die krachende Kruste, innen die weiche Krume
Das Originalrezept des Wachauer Laberls zählt zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Bäckerbranche. „Ich bin schon sehr oft danach gefragt worden und habe schon viele unmoralische Angebote bekommen“, sagt Schmidl. Gerne schmunzelt sie über die Gerüchte und Mythen, die das Rezept umranken. Einige behaupten, dass die Schmidls dem Laberl den Wein einer ganz speziellen Rebe zusetzen. Andere erzählen, dass der Sauerteig durch eine allabendliche Ansprache besonders gut gelinge. Die Hüterin des Rezepts lächelt nur und hält sich bedeckt: „Ich finde das immer wieder interessant – aber ich kann dazu nichts sagen.“
Die Geheimniskrämerei ist berechtig, denn viele von Schmidls Kunden bestehen auf das Original. Beim 111-jährigen Jubiläum des Rezepts erhielt das Signatur-Gebäck der Schmidls deshalb ein Erkennungszeichen. Ein gebranntes „S“ an der Unterseite markiert seither das Laberl nach dem Rezept des Urgroßvaters.
Das Original mit dem „S“ wandert heute über die Theken des Gourmet-Händlers Meinl am Graben und zu ausgewählten Gastronomiebetrieben in ganz Österreich. Und wenn das Laberl nicht zum Kunden kommt, kommt der Kunde zum Laberl. Touristen strömen vom Schiffssteg an der Donau durch das Dürnsteiner Stadttor direkt ins Café. Manchmal gehen sie auch einen Schritt weiter und stehen in den Arbeitsräumen. „Sie sind überall. Manchmal will man die Backstube zusperren, und sogar dann findet man noch irgendwo einen“, sagt Schmidl. Und doch fehlen ihr die vollen Straßen und neuen Gesichter, wenn die Saison mit dem Nationalfeiertag am 26. Oktober schlagartig endet und Dürnstein in die Winterruhe fällt.
Handwerkskunst auf engstem Raum
Jeder Zentimeter der engen Bäckerei-Räumlichkeiten wird zweckdienlich ausgefüllt. Die Platznot fängt schon beim Mehllieferanten an: Der spezielle Lieferwagen kommt nur mit Zentimeterarbeit zum Ziel. In den Arbeitsräumen findet zeitgleich ein genau getaktetes Ballett statt. Bäcker und Konditoren erzeugen hier ein Sortiment von mehr als 150 Produkten. Die langgedienten Bäckermeister und Gesellen wissen genau, wer wann einen Schritt zur Seite tun muss. Und sie reagieren rasch, wenn sich das kurze Zeitfenster öffnet um die eigene Ware im Ofen unterzubringen.
Niederösterreich ist eine reiche Schatzkammer, an der man sich bedienen kann
Schmidls Brotteig mag je nach Luftfeuchtigkeit launisch sein, dafür ist er ehrlich. Keine Fertigmischungen und kein behandeltes Mehl kommen in ihre Stube. Damit ist sie Vertreterin einer Gruppe, für die Brot ein Sinnbild darstellt – der „Slow Food“-Bewegung. In den USA boomt dieser Trend unter dem Namen des „artisan bread“, der Kunst des Brotbackens auf Basis natürlicher Prozesse und Zutaten. In einer Zeit in der Backketten und Backboxen das Handwerk bedrängen, setzt die „Slow Food“-Bewegung einen Kontrapunkt: „Wir können preislich mit den großen Bäckereiketten nicht mithalten. Wir können unseren Kunden aber etwas ganz anderes bieten – ein richtiges Geschmackserlebnis und Ehrlichkeit mit dem Produkt.“
Slow Bread
Der Brotwettbewerb von Kruste&Krume bietet dem österreichischen Bäckerhandwerk eine neue Bühne, um diese Philosophie zu zelebrieren. Hier geht es um Brot, das die Zeit bekommt, seinen vollen Geschmack zu entfalten. Mit einem reinen Roggenbrot und einem französischen Baguette belegte die Bäckerei Schmidl bei Kruste&Krume den zweiten Platz. Das erfüllt Schmidl mit Stolz in das Können ihres Teams, weil sie beide Rezepte erst zwei Wochen davor eigens kreiert hatten.
Tradition und altes Handwerk bedeuten aber nicht, dass in der Backstube nicht auch einmal Sturm und Drang herrschen. Als frisch gelernte Bäckerin hätte Schmidl am liebsten alle Regeln niedergerissen und mit neuesten Techniken experimentiert – sehr zum Unbehagen ihres Vaters. Die Glut dieses Feuers und die Wünsche ihrer Kunden treiben sie heute zu fünf bis zehn Neukreationen pro Jahr.
Das Originalrezept des Wachauer Laberls zählt zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Bäckerbranche.
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