In Wien aufgewachsen, faszinierte Ingrid Pecher schon immer der Kontrast zwischen den nicht enden wollenden Häuserschluchten und dem Blick von den Bergen hinein ins weite Land. Bis heute hat das in die Berge gehen nichts von seinem Reiz verloren. Mit ihrem Vater lernte Ingrid einst die Gebirgswelt Österreichs kennen und lieben. Beginnend mit leichten Spaziergängen, querte sie alsbald größere Gletscher und hing am Seil im Steilhang. Geschickt in Steig und Fels, hat sie jedoch bis heute den Respekt vor Höhe und Abgrund nicht verloren. Was kein Nachteil für ihren Job als ehrenamtliche Steigwartin ist, wie sie selbst findet: „Wenn ich die Steige bearbeite, sehe ich dadurch gleich, welche Stellen schwieriger zu begehen sind. Das hilft mir bei meiner Arbeit enorm.“
"Die Liebe zu den Bergen hat mich nie losgelassen. Ich habe jedoch bis heute den Respekt vor Höhe und Abgrund nicht verloren.“
"Wer hie und da mal einen kleineren Ast findet, der den Wegverlauf stört, darf diesen gerne auf die Seite räumen. Das hilft uns sehr."
Einsatz mit Leidenschaft
Seit 2013 ist Ingrid Pecher ehrenamtliches Mitglied der Alpinen Gesellschaft Reißtaler, seit 2015 arbeitet sie dort als Steigwartin. Ohne Bezahlung, jedoch mit leidenschaftlichem Einsatz. „Ich bin viel in der Welt herumgekommen, lebte ein halbes Jahr in Kanada, besichtigte sämtliche Länder Europas, studierte in Wien, aber die Liebe zu den Bergen hat mich nie losgelassen.“ Im Zuge eines Umweltprojektes kehrte sie schließlich in die Welt der Gipfel zurück und erwog alsbald die Mitgliedschaft bei den Reißtalern. Seither ist sie jede freie Minute auf den Wegen und Steigen rund um die Rax – das Bergmassiv an der Grenze der Bundesländer Niederösterreich und Steiermark – unterwegs und zeigt sich mit 40 anderen Vereinsmitgliedern für deren Wegeerhaltung verantwortlich. Über 35 Kilometer an Wanderwegen und Klettersteigen gilt es dabei bei einer Aufstiegshöhe von insgesamt rund 6.500 Höhenmetern zu betreuen.
Eine Arbeit im Kreislauf der Jahreszeiten
Es ist eine Arbeit im Kreislauf der Jahreszeiten: Wenn im April die letzten hartnäckigen Schneefelder auf der Rax den ersten Frühlingsboten den Platz frei machen und sich die Temperaturen langsam im Plusbereich einpendeln, beginnt für Ingrid die Saison. Die Wege werden von Ästen befreit, kleinere Steine auf die Seite geräumt, Markierungen erneuert, leicht verschüttete Wege wieder freigelegt. „Dort, wo wir an unsere Grenzen stoßen, werden die Arbeiten an professionelle Partner delegiert. Denn beinahe jährlich werden durch Schneedruck, Windbruch und Steinschlag stark frequentierte Steige und Versicherungen in Mitleidenschaft gezogen.“ Das Arbeitsgebiet von Ingrid erstreckt sich vorwiegend über die Südseite des Raxmassivs. „Im Gemeindegebiet von Reichenau betreuen wir, ausgehend vom Reißtal, die durch die Kahlmäuer verlaufende Wildfährte sowie das Bärenloch und auf dem Rax-Plateau den Gradbodenalmweg, Ochsenhaltweg und Bärengraben.“ Wenn im Juni die Wandersaison für den heimischen Tourismus startet, haben Ingrid und ihre Vereinskollegen bereits alle Wege begehbar gemacht. Über die Sommermonate heißt es dann: kontrollieren, kontrollieren, kontrollieren. Gerade nach schweren Unwettern ist ihr Einsatz gefragt. „Die Naturereignisse der vergangenen Jahre waren teilweise heftig. Ganze Hänge rutschten weg, es kam zu Felsstürzen, der Sturm ließ Bäume umknicken und verstreute diese wie bei einem Mikado-Spiel.“ Einen Weg zu sperren, ist laut Ingrid ein Leichtes. „Gewichtig ist die Frage: Ab wann ist der Weg wieder sicher?“ In Zusammenarbeit mit Grundeigentümern, Forstarbeitern und der Bergrettung konnte jedoch noch immer eine Lösung gefunden werden. „Auch wenn der Weg einmal verlegt werden musste. Da muss man sich als Mensch einfach nach der Natur richten.“
Das Spüren und Einlassen auf die Natur
Die Bergwelt ist Ingrids liebster Rückzugsort. „Wir haben Berge, wir haben Seen, die Natur wird begleitet von vier Jahreszeiten. Wenn ich entlang der Rax eine Tour plane, durchwandere ich sämtliche Vegetationsstufen. Vom Mischwald hin zu den Nadelwäldern geht es weiter hinauf zu den Latschenregionen und zu guter Letzt erwartet mich felsiges Gelände. Du kannst denselben Weg einen Monat später wieder aufsuchen und wirst merken, dass sich Pflanzen, Licht, Farben und Geräusche komplett verändert haben.“ Dieses Spüren und Einlassen auf die Natur empfindet Ingrid so intensiv wie bei ihrer ersten Bergwanderung: „Wenn ich hier unterwegs bin, versuche ich, mich selbst und meine Gedanken etwas zurückzunehmen und mehr in die Natur hineinzuhören.“ Könnte man sich zum Beispiel nehmen … Und wer hie und da mal einen kleineren Ast findet, der den Wegverlauf stört, darf diesen gerne auf die Seite räumen. „Das hilft uns sehr. Sollten größere Probleme am Weg auftauchen, wäre es nützlich, wenn der nächste Hüttenwirt informiert wird oder man uns eine Nachricht zukommen lässt, egal auf welchem Weg. Je schneller uns diese Nachrichten erreichen, umso schneller können wir reagieren.“ Und umso schneller ist der Weg auch wieder frei – für ungetrübte Bergerlebnisse inmitten wildschöner Natur, bis dann im November der erste Schneefall die Saison beendet und die Steige unter der weißen Decke für einen kurzen Winterschlaf von der Landkarte verschwinden.
Alpine Gesellschaft Reißtaler
Seit 2013 unterstützt Ingrid Pecher die Alpine Gesellschaft Reißtaler. Als Steigwartin ist es ihre Aufgabe, gemeinsam mit den weiteren Vereinskollegen, 35 Kilometer an Wanderwegen und Klettersteigen zu erhalten. Ehrenamtlich, versteht sich.