Ein Mann, ein Wald, eine Geschichte
Zuerst als Tischler tätig, wechselte Rendl später in die Baustoffindustrie und war in der dortigen Verkaufsabteilung für halb Österreich zuständig. Eine gute Bezahlung, ein schickes Firmenauto, die Führungsposition in greifbarer Nähe – diese Vita konnte sich wahrlich sehen lassen. Doch trotz all den erreichten Zielen ging es Robert gesundheitlich immer schlechter: „Ich spürte einen Druck auf dem Herzen, bekam kaum Luft, hatte kein Gefühl mehr für das eigentlich Wesentliche, für meine Familie.“ Der beruflichen Karriere und dem drohenden Burn-Out schier entgegengerast, sagte seine Frau eines Tages zu ihm: „Weißt du was? Geh‘ doch einfach einmal in Ruhe in den Wald.“
„Ich spürte einen Druck auf dem Herzen, bekam kaum Luft, hatte kein Gefühl mehr für das eigentlich Wesentliche“
Gesagt, getan. Und inmitten der Natur brach es aus Robert heraus. Dort, in der Stille, hörte er tief in sich hinein und begann, sich wieder zu spüren. Er ließ seinen Gefühlen – und auch seinen Tränen freien Lauf. Inmitten der Ruhe des Waldes ging er seinen Gedanken auf den Grund, und ließ auch neue an sich heran. Und manchmal im Leben ist man ganz einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Denn dort, inmitten der grünen Baumgruppen, traf er eines Tages auf einen ganz besonderen Menschen: Bernhard Kaiser. Kaiser ist einer der letzten aktiven Pecher aus Waidmannsfeld und hat dieses alte Handwerk wiederbelebt. Jedes Jahr erntet er im Durchschnitt 3 Kilo Rohharz pro Baum. Die zwei Männer waren sich auf Anhieb sympathisch, und auch für die Tätigkeit von Bernhard Kaiser begann Robert sich mehr und mehr zu interessieren. „Bernhard nahm mich mit zu den Schwarzföhren, zeigte mir das Handwerk des Pechers, welches mich von der ersten Sekunde an so sehr faszinierte, sodass ich letztlich selbst damit begann.“
„Was gibt es schöneres, als den Menschen mit meinen Produkten zu helfen?“Robert Rendl orientiert sich neu Kurzerhand kehrte er dem alten Berufsleben endgültig den Rücken zu, pachtete sich einige Hektar Wald, las viel in alten Büchern, recherchierte umtriebig und startete mit der Herstellung eines alten Hausmittels: der Pechsalbe. „Das waren die Anfänge, danach kamen immer mehr Produkte aus dem gewonnenen Harz dazu. Als ich mich dann mit meinen Erzeugnissen eines Tages auf einen Bauernmarkt stellte, wenige Stunden später alles verkauft hatte und die Nachfrage einfach nicht versiegen wollte, wusste ich: Das ist es, das wird mein neuer Beruf. Denn was gibt es schöneres, als den Menschen mit meinen Produkten zu helfen?“
Von Generation zu Generation
Seitdem sind sechs Jahre ins Land gezogen und Robert kann heute sehr gut von seinem Beruf leben. Und die Nachfolge ist ebenfalls gesichert, denn sein Sohn stieg kürzlich in das Unternehmen ein. Es gibt nur mehr wenige Pecher in Niederösterreich, die das Handwerk betreiben, doch die Menschen beginnen sich wieder dafür zu interessieren, besuchen vermehrt den Pecherpfad in Hölles sowie das Pechermuseum in Hernstein oder buchen sich gleich direkt einen Platz in den beliebten Pecherkursen. Letztlich ist das Interesse wohl auch deshalb so groß, weil man dem Harz seit jeher eine entzündungshemmende Wirkung nachsagt, die für Robert ohnehin klar bewiesen ist: „Meine Frau wurde eines Tages schwerkrank, kämpfte mit einer schweren Kopfentzündung und der Aussicht, im Rollstuhl zu landen. Da gab ich ihr regelmäßig etwas von dem Harz und siehe da, nach einem halben Jahr waren die Entzündung verschwunden und kam bis heute nicht wieder. Ich denke, mehr muss man dazu nicht sagen.“
Seine Produktpalette reicht mittlerweile von Räucherharz, Badeöl, Baumwundbalsam über Lippenbalsam, Entspannungsbäder und Pechseifen. Gerne erzählt er interessierten Marktbesuchern Geschichten über die lange Tradition der Pecherei: „In den sechziger und siebziger Jahren konnten viele von diesem Handwerk leben. Damals hatte ein Berufspecher zwischen 2000 und 4000 Bäume, die er wöchentlich besuchen musste. Das Pech wurde in Fässern gesammelt und zu den Pechsiedereien gebracht, wo man im folgenden Destillationsvorgang zwei Produkte gewann: Terpentin und als Nebenprodukt Kolophonium.“ Letzteres wird noch heute von Cellisten und Geigern verwendet, um damit den Bogen für einen kräftigen Haftgleiteffekt einzustreichen. Wie Musik klingt es für Robert auch, wenn er durch den Wald geht und dabei die Vögel fröhlich zwitschern hört oder dem Plätschern des Baches lauscht.
Ein stetiger Kreislauf
Von März bis Oktober ist er mit der Harzgewinnung beschäftigt, die Wintermonate nützt er, sein Werkzeug zur reinigen und zu reparieren. „Das Werkzeug, das ich benutze, ist teilweise zwischen 50 und 100 Jahre alt, da gibt es keine neuen Produkte, die halten würden, was die alten versprechen.“ Egal, ob Robert nun auf den verschiedensten Handwerksmärkten unterwegs ist oder an seinen Bäumen arbeitet, er hat das gefunden, was er gesucht hat. „Hier gehöre ich hin und ich will mein Leben lang nichts anderes mehr machen. Ich brauche die Ruhe, die gesunde Waldluft und bin dankbar dafür, dass die Natur uns so viel gibt.“
Denn an einer Schwarzföhre kann Robert 40 Jahre lang arbeiten, ohne sie tödlich zu verletzen. Es ist ein genaues Abwägen von dem, was man der Natur entnehmen darf und was zuviel wäre. Ein Reinhören in die Seele des Waldes und letztlich wohl in sich selbst: „Früher, während meiner Mittagspausen in den Großstädten, setzte ich mich oft in eine der Parkanlagen und beobachtete die Menschen. Dieser Stress, die grimmigen Gesichter, das Hinterherhetzen der verlorenen Zeit, all das konnte ich nicht verstehen. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass ein Leben in der Stadt schlecht ist, nein. Nur für mich ist es nichts. Ich genieße es, mit meiner Frau nach Wien zu fahren, ein Musical zu besuchen, gut zu essen, aber ich bin auch froh, wenn ich die Stadt wieder hinter mir lassen kann.“
Rückzugsort Wald
Der Wald wurde für Robert zum Rückzugsort: „Hier finde ich wieder zu mir selbst. Im Grunde sind wir doch alle gleich und allesamt aus der Natur entstanden. Ich finde nicht, dass man sich über die Natur erheben soll. Vielmehr sollte man versuchen, diese zu schätzen, zu ehren und mit den Ressourcen wertschätzend umgehen, um deren Schönheit für die Nachwelt zu erhalten.“ Diese Werte versucht Robert auch den Jüngsten zu vermitteln und bietet für Schulen und Kindergärten besondere Waldtage an. „Da kochen wir gemeinsam in unserer Waldküche Pechsalben, ich erzähle von den Besonderheiten der Schwarzföhre und dem Ökosystem des Waldes, erkläre die Tier- und Pflanzenwelt und versuche ihre Sinne auf die Natur zu schärfen.“ Denn eines ist für Robert klar: „Natürlich brauchen wir diese ganze EDV-Welt, aber alles mit Maß und Ziel.“ Und der gesündeste Gegenpol ist für ihn nun mal die Natur. Schließlich wuchs er selbst mitten im Abenteuerspielplatz Wald auf, wo es einst nicht mehr brauchte, als ein paar Äste, um einen Bogen zu basteln und damit stundenlang zu spielen, bis die Mutter zum Abendessen rief.
In seinen Kursen kann er diese Entwicklung zur Rückbesinnung auf Mutter Natur immer wieder beobachten: „Es ist dieses Verlangen nach Ehrlichkeit, Handschlagqualität, Verlässlichkeit und Naturverbundenheit. Viele wünschen sich, Ruhe zu finden und suchen das ganz normale, bodenständige, ehrliche. Schlichtweg deshalb, weil es uns in dieser schnelllebigen Zeit einfach fehlt. Man kann im Leben einmal links und einmal rechts abbiegen, aber wenn du ständig in die falsche Richtung gehst, dann meldet sich der Körper irgendwann. Wir haben die materiellen Werte wie Autos, Swimmingpools und dergleichen auf eine Stufe gestellt, wo sie absolut nicht hingehören. Denn ganz oben kann immer nur unser Herz stehen und sonst nichts.“ Ein Schlussplädoyer, dem wohl nichts hinzuzufügen ist außer vielleicht die insgeheime Frage zu sich selbst: „Wann war ich eigentlich das letzte Mal im Wald spazieren?“
Von März bis Oktober sammelt Robert Rendl das Pech der Schwarzföhre in den Wäldern des Piesting- und Triestingtales.