Es gibt Menschen, die folgen dem Weg ihres Herzens schnurstracks geradeaus. Und es gibt diejenigen, dich sich in etlichen Abzweigungen verstricken, letztlich aber doch mit jedem Male erfahrener und gereifter auf ihren eigentlichen Pfad des Lebens zurückgelangen. Inge Wurzer ist so ein Mensch. Sie fand den Weg in just jenem Moment wieder, als sie aus purer Verzweiflung heraus ganz tief in sich hineinhörte und endlich verstand: Nur sie selbst konnte sich helfen. Und das tat sie dann auch. Bis heute.
„Da saß ich nun, sah meiner wunderhübschen Tochter beim Aufwachsen zu und in mir selbst wuchs gleichsam eine immer größere Unzufriedenheit heran“
„Wir haben auf der Hütte nur begrenzte Ressourcen, ebenso wie Mutter Erde. Nur verwenden wir letztere so, als ob sie unbegrenzt wären. Wir müssen lernen, zu haushalten“
„Als junges Mädchen wollte ich als leidenschaftliche Motorradfahrerin unbedingt Mechanikerin werden. Stattdessen folgte eine Lehre zur Kellnerin. Diese brach ich ab und wechselte in die Verkaufsbranche. Es war ein wunderschöner Lehrplatz, aber nicht das, was ich wirklich suchte. Schließlich wurde ich schwanger. Da saß ich nun, sah meiner wunderhübschen Tochter beim Aufwachsen zu und in mir selbst wuchs gleichsam eine immer größere Unzufriedenheit heran.“ Bis sie eines Nachts aus ihren Träumen hochschreckte und ihren Mann niedergeschlagen fragte, ob nicht er helfen könne. Er verneinte aus purer Ehrlichkeit. Da verstand Inge endlich und es war, als ob jemand neben ihr stünde und ihr zuflüsterte: Nur du selbst kannst dir helfen.
Die Zeichen richtig deuten
Dieses spirituelle Erlebnis veränderte fortan Inges Leben. Die Ausbildung zur Ski- und Snowboardlehrerin folgte. Die Frage nach dem Sommerjob stand als nächstes im Raum, es wurde der Paragleit-Assistentenkurs. „Eine wunderschöne Erfahrung. Die Luftgeräusche von den Leinen, das Schweben über der Welt.“ Doch die Luft der Berge holte sie sanft aber bestimmt wieder auf den Boden zurück: „Nachdem ich zwei Unfällen knapp entgangen bin und meine dritte Tochter zur Welt kam, beschloss ich, die Zeichen wahrzunehmen und kürzer zu treten.“ Spielerische Märchen- und Sagenwanderungen für Sommergäste standen als nächstes auf der Tagesordnung der Umtriebigen. Doch die Sehnsucht zog sie woanders hin. In die Berge hinauf. „Die Idee, eine Hütte zu pachten, wuchs in mir und als ich schon kurz davor war, mir einige weit entfernte Objekte in Tirol anzusehen, nahm mein Schicksal die Sache selbst in die Hand.“ Die Ybbstalerhütte hoch oben über dem Lunzer See auf 1.343 Meter Seehöhe ist es geworden.
Den Geist mit der Natur verbinden
Hier ist Inge angekommen. „Die Hütte zu bewirtschaften, dieses Juwel zu pflegen, das ist für mich von unschätzbarem Wert.“ Der bewusste Umgang mit der Natur prägt seitdem ihr Leben in den Bergen. 15 Minuten unter der Dusche zu stehen, das funktioniert genauso wenig, wie den spärlich erzeugten Eigenstrom aus Solarenergie fürs Haare föhnen zu verbrauchen: „Wir haben auf der Hütte nur begrenzte Ressourcen, ebenso wie Mutter Erde. Nur verwenden wir letztere so, als ob sie unbegrenzt wären. Wir müssen lernen, zu haushalten.“ Auch Inges Gäste müssen das. In vielen Gesprächen bemüht sie sich, den Blick auf den nachhaltigen Umgang mit Wasser, Strom und Natur zu schärfen. Diejenigen, die zuhören, sind mittlerweile zu Stammgästen geworden. „Es ist nun mal so, dass wir auch das Trinkwasser verrechnen. Das machen wir nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil wir das Quellwasser, welches zwei Kilometer von der Hütte entfernt aus dem Boden tritt, erst durch eine Aufbereitungswasseranlage leiten müssen, damit wir es überhaupt ausgeben dürfen.“ Hüttengeschichten aus dem Alltag eben, die nicht jeder Gast kennt. Welche jedoch erzählt werden müssen, zur besseren Verständigung, zum respektvolleren Umgang.
Schwitzhütte und Co.
Von Mai bis Ende Oktober ist die Ybbstalerhütte bewirtschaftet, die Wintermonate verbringt Inge im Tal in Lunz am See. Neben ihrer Skilehrertätigkeit übt sie dort in Ruhe ihr Wissen um den Schamanismus aus. „Dieses Erfühlen, dass man mit allem, was einen umgibt, verbunden ist, ist etwas, welches sich sehr langsam entwickelt und für das man Zeit braucht.“ Als Schülerin des indischen Schamanen Tacan'sina Miwatani ist ihr Ziel die Verbindung zu Mutter Erde. „Das Erleben der Natur ist für mich das Schönste, das es gibt, dass möchte ich weitergeben. Ich glaube an die gute Zukunft. Wenn kein Baum mehr wächst, alle Flüsse vergiftet sind und wir in Betonbauten leben, dann haben wir alles zerstört. Wenn wir uns aber wieder an die Natur anlehnen, werden wir zum lebenswerten Leben zurückfinden.“
Die Ybbstaler Hütte (Eigentum des ÖAV) liegt auf 1.343 Meter Seehöhe in den Ybbstaler Alpen, etwa dreieinhalb Kilometer nordwestlich des Dürrensteins. Die Schutzhütte wird vom ÖAV betrieben, ist von Mai bis Oktober bewirtschaftet und bietet neben Verpflegung vier Zimmerlager und 43 Matratzenlager. Seit 2012 kümmert sich Inge Wurzer mit ihrem Mann um das Wohl der Gäste.